Lagerleben - "Besucher sind in Zella-Mehlis nicht willkommen“ Unedited press report
Demonstration »Brecht die Isolation, schließt die Lager« am 22. October um 14 Uhr in Erfurt, Am Anger
Flüchtlingsheim vor Schließung
Thüringen: Künftige Unterbringung der Bewohner angeblich noch nicht klar
Von Gitta Düperthal
25.05.2011 / Inland / Seite 5Inhalt
Die Gemeinschaftsunterkunft in Gangloffsömmern wird zum 31. August geschlossen, da der Betreibervertrag mit der „Projektentwicklungs- und Betreuungs GmbH“ dann ausläuft. Das hat das Landratsamt in Sömmerda vergangenen Mittwoch auf Anfrage von Junge Welt bestätigt. Seit Jahren hatten sich Aktivisten der Organisation The voice und die dortige Flüchtlingsinitiative mit anhaltenden Protesten eingesetzt, dass das Lagerleben im baufälligen Gebäude im gottverlassenen Kaff mitten im Thüringer Wald ein Ende haben muss. Die Beschwerdeliste der dort verbleibenden 30 Flüchtlinge war ebenso lang wie zutreffend, wovon sich Junge Welt anlässlich eines Reports im November 2010 überzeugt hatte: Jahrelang hatten Flüchtlinge dort gänzlich ausgegrenzt von der Gesellschaft dahinvegetieren müssen: Die nächste Einkaufsmöglichkeit nur mit einem Acht-Kilometer-Marsch zum übernächsten Nachbarort Straußfurth zu erreichen; der Bus dorthin kostet 2.80 Euro Fahrgeld, das sich vom monatlichen Gutschein im Wert von 126 Euro kein Mensch leisten kann. Das kümmerliche Taschengeld von 41 Euro im Monat hat das Amt in vielen Fällen teilweise oder ganz einbehalten. Wie in vergleichbaren Einrichtungen im thüringischen Zella-Mehlis, Breitenworbis und Gerstungen schämen sich hier die meisten Flüchtlinge für ihre Bleibe, in der sie noch nicht einmal Besuch empfangen können. Toiletten und Duschen in miserablem hygienischem Zustand: Keine Toilettenbrillen, keine Seifenschalen, keine Seife, keine Handtücher, keine Badezimmerschränke; nur sporadisch warmes Wasser, die Heizung häufig kalt. In der Küche rostige und alte Kochherde, alles komplett unwohnlich, die Wände feucht und schimmlig. „Selbst wenn das Heim renoviert wird, in dieser Einöde kann keiner leben“, hatten Flüchtlinge im Gespräch mit jw gesagt. Hinzu kommt, dass in Gangloffsömmern einzig Männer untergebracht waren.
„Dann ist es doch gut, dass es ein Ende hat, es wird ja jetzt geschlossen. Punkt.“, war aus der Pressestelle des Landratsamts zu vernehmen. Bei den Flüchtlingen herrscht hingegen Angst, von einer entwürdigenden Situation in die nächste geworfen zu werden. Gerüchte kursieren: Das Amt beabsichtige, eine Hälfte der Flüchtlinge in eine Unterkunft in Apolda, die andere ins Industriegebiet von Zella-Mehlis zu verlegen – letztere gilt jedoch als ähnlich heruntergekommen wie Gangloffsömmern. Auf Nachfrage von Junge Welt Ende vergangener Woche gibt man sich in der Pressestelle im Auftrag des Landrates Rüdiger Dohndorf (CDU) wortkarg: „Mit der derzeitigen Suche nach alternativen Unterbringungsmöglichkeiten wird sich die zukünftige Wohnform der Flüchtlinge entscheiden“. Nur drei Monate vorm geplanten also Umzug nichts geklärt? „Alles wird durchgespielt und dann die kostengünstigste Variante herausgepickt“, heißt es. Dass man die deprimierende Situation der Flüchtlinge beenden und sie in Wohnungen unterbringen will, ist offenbar kaum zu erwarten. Äußern wollte man sich dazu jedenfalls nicht. Der Versuch, die Bewohner Anfang Mai im Sozialamt in Sömmerda unter Beteiligung der Landtagsabgeordneten Regine Kanis (SPD) informieren zu wollen, stellte sich als Farce dar: Sie hatten gar nicht teilnehmen können, weil nicht Sorge getragen wurde, dass die vier Euro Fahrtkosten pro Person für den Bus dorthin übernommen wurden.
Überhaupt gibt man sich im Amt verschlossen. Auf kritische Fragen des zugesendeten Fragenkatalogs reagierte die Pressestelle erst, nachdem Junge Welt auf die im Thüringer Pressegesetz, Paragraph 4, garantierte Auskunftspflicht der Behörden insistierte – und selbst dann nur unvollständig. Nur drei von elf Fragen - und wegen Ungenauigkeit der Beantwortung resultierende Nachfragen - hat das Amt beantwortet. Auf Missfallen stieß beispielsweise die Frage, ob die Verantwortlichen aus den Beschwerden der Flüchtlinge über das ihnen zugemutete unwürdige Lagerleben in Isolation, beengtes Wohnen in baufälligem Gebäude und respektlosen Umgang der Behörden gelernt haben. Stattdessen schlug Pressesprecherin Christiane Maurer Junge Welt vor, zu fragen, ob man von all dem Kenntnis habe: Aus journalistischer Sicht eine unsinnige Frage, da jw selber das Landratsamt bereits vor einem halben Jahr zu eben jenen Mißständen befragt hatte! Schweigen zunächst auch auf die Frage, wie man sicherstellen wolle, dass die Ausländerbehörde mit Einschüchterungsversuchen reagiere und so die Meinungsfreiheit der Flüchtlinge einschränke, wenn diese Journalisten Auskunft erteilen. The voice hatte auf ihrer Internetseite www.thevoiceforum.org über einen solchen Fall berichtet. Nachdem jw auf eine Stellungnahme dazu insistierte, versicherte die Pressesprecherin „für alle Beschäftigten im Landratsamt ihre Hand ins Feuer legen“ zu wollen, dass so etwas nicht vorgekommen sei.
Gitta Düperthal
http://www.jungewelt.de/2011/05-25/033.php
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Isolationslager Gangloffsömmern wird geschlossen - Landkreis Sömmerda kommt The VOICE zuvor
https://thevoiceforum.org/node/2118