04.05.2012 / Inland / Seite 2Inhalt
Ein Gespräch mit Thomas Ndindah
Interview: Gitta Düperthal
Thomas Ndindah ist Aktivist der Flüchtlingsorganisation »The Voice«, die mit zur Kundgebung vorm Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufruft
The Voice« und die »Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migrantinnen« in Nürnberg rufen für den heutigen Freitag zum Protest in Nürnberg vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf. Was werfen Sie dem Bundesamt vor?
Es ist die zentrale Stelle, die alles im Zusammenhang mit Asylanträgen in Deutschland koordiniert. Hier sitzen die Verantwortlichen, die Asylsuchende einer Erstanhörung unterziehen. Wer es geschafft hat, den außerhalb der EU-Grenzen operierenden Menschenjägern von Frontex zu entkommen, wer Militärpatrouillen, Polizei- und Agentennetz, Todeszäune und Drohnenaufklärung überwunden hat, findet sich im Spinnennetz der nationalen Behörde wieder.
Über sich selbst schreibt das Amt: »… großes Erfahrungswissen, das Beherrschen von Befragungstechniken und ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen sind unverzichtbar.« Trifft man dort tatsächlich auf solche Eigenschaften?
Aus unserer langjährigen Erfahrung heraus können wir viele Beispiele dafür nennen, daß Entscheider des Bundesamtes Asylanträge negativ manipuliert haben. Auch die Statistik sagt einiges darüber aus, wie es um dieses »Einfühlungsvermögen« bestellt ist. Man braucht sich nur die im europaweiten Vergleich niedrige Anerkennungsquote von Asylverfahren anzuschauen. In Deutschland werden nur zwei Prozent aller Erstanträge anerkannt! Es beginnt schon damit, daß meist nur dann Asyl gewährt wird, wenn der Antragsteller in seinem Herkunftsland vom Staat verfolgt wurde. Asyl gibt es aber nicht, wenn dieser Staat nicht willens oder in der Lage ist, den Antragsteller gegen andere Verfolger zu schützen.
Können Sie ein Beispiel nennen, in dem das Bundesamt eine ungerechte und nicht nachvollziehbare Entscheidung getroffen hat?
Miloud Lahmar Cherif soll in die Ukraine abgeschoben werden. Dort wäre er wahrscheinlich schon, wenn sich das BAMF an die Vorgabe des Auswärtigen Amtes halten würde, daß dort nur gelegentliche Übergriffe auf deutsche Bürger zu erwarten seien. Zur Zeit hält sich das BAMF noch zurück – es wird ja wegen der bevorstehenden Fußball-EM darüber diskutiert, daß die Ukraine ein Polizeistaat ist.
Für Miloud gelten aber andere Voraussetzungen: Er ist nämlich kein Deutscher, sondern Algerier. Er beklagt sich, daß er mehrfach von ukrainischen Faschisten verfolgt und mit dem Tode bedroht worden sei, weil er sofort als Ausländer erkannt werde.
Nach unserer Erfahrung legen Mitarbeiter des Bundesamtes meist alles zum Nachteil der Betroffenen aus, weshalb es auch zu dieser dürftigen Anzahl von nur zwei Prozent anerkannten Asylbewerbern kommt.
Weitere Beispiele?
Frauen, die Beschneidung oder sexuellen Mißbrauch erlitten haben, werden ohne Rücksicht auf ihre seelische Verfassung befragt. Wenn sie aus Scham nicht darüber reden können oder Details verschweigen, wird daraus oft ein Ablehnungsgrund abgeleitet.
Welche Forderungen stellen Sie an das BAMF?
Das heutige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hieß bis 2004 noch »Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge«. Von Anerkennung kann keine Rede mehr sein, deshalb hat man es umbenannt. Ziel ist es, Asylanträge nach Möglichkeit abzulehnen. Abgesehen von der sowieso bereits restriktiven Gesetzgebung schränken Dienstanweisungen und Interpretationsanordnungen das Recht auf Asyl weiter ein. Es gibt eigentlich kaum noch rechtliche Grundlagen für Menschen, die in Deutschland Asyl suchen. Mit unserem Protest wollen wir bewirken, daß sich die Mitarbeiter bewußt werden, was sie da eigentlich tun und welches Leid sie bei Betroffenen verursachen.
Kundgebung am heutigen Freitag, 12.00 Uhr, vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg, Frankenstraße 210
http://www.jungewelt.de/2012/05-04/051.php
END
„WILLKOMMEN IN DEUTSCHLAND“ - WILLKOMMEN IN DER HÖLLE
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Schaltzentrale des Abschiebeterrors in Deutschland im „Krieg gegen Migration und Flüchtlinge
https://thevoiceforum.org/node/2531