Der Fall Oury Jalloh wird ab nächster Woche vor dem Landgericht Magdeburg erneut verhandelt. Ein Gespräch mit Araz Ardehali Interview: Gitta Düperthal
Araz Ardehali ist Aktivist der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrantinnen und kämpft für die Aufklärung des Todes von Oury Jalloh
Nach sechs Jahren ist noch immer nicht geklärt, wie der an Händen und Füßen gefesselte Asylsuchende Oury Jalloh aus Sierra Leone am 7. Januar 2005 im Polizeigewahrsam in Dessau tatsächlich zu Tode kam, als er in der Zelle 5 qualvoll verbrannte. Was wollen die Flüchtlingsorganisationen mit Demos und Aktionen am 7. Januar in Dessau sowie am 8. und 12.Januar in Magdeburg erreichen?
Aktivisten der Initiative Oury Jalloh, der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge, von The voice und anderen Organisationen gedenken wie jedes Jahr des Todes von Oury Jalloh in Dessau. Dort, wo der Mord 2005 passiert ist, vorm Polizeirevier in der Wolfgangstraße 25, wollen wir am kommenden Freitag seine Mörder öffentlich benennen. In Magdeburg werden wir noch vor Beginn des Gerichtsverfahrens, am darauffolgenden Samstag, 8. Januar, demonstrieren – parallel dazu, am Dienstag, 12. Januar, werden wir Mahnwache halten. Das Gericht soll spüren, daß wir an Wahrheit und Gerechtigkeit Interessierten beobachten, wie es den Prozeß durchführt.
Die Anklage gegen den Polizisten Andreas Schubert lautet »Körperverletzung mit Todesfolge«– Aktivisten sind hingegen der Meinung: »Oury Jalloh, das war Mord«.
Es muß Mord gewesen sein. Alle bekannten Tatsachen, nachdem Amtsanwälte und Journalisten recherchiert haben, lassen keinen anderen Schluß zu. Bereits beim Benennen der Gründe für die Festnahme Oury Jallohs verwickelten sich Polizeizeugen in Widersprüche. Mal hieß es, sie hätten ihn ins Polizeirevier mitgenommen, weil sie seinen zerknitterten Ersatzausweis, eine Duldung, nicht hätten lesen können; mal, er soll im betrunkenen Zustand Frauen belästigt haben. Jeder, den die Polizei in Gewahrsam nimmt, wird bis in jedes Körperloch von oben bis unten durchsucht – doch bei Oury Jalloh will man ein Feuerzeug übersehen haben. Damit soll sich der an Händen und Füßen Gefesselte selbst verbrannt haben, auf einer schwer entflammbaren Matratze! Obendrein soll er sich die Nase gebrochen haben, was bei der ersten Obduktion nicht protokolliert wurde. Klar ist: Weder kann er sich selber Gewalt angetan, noch sich angezündet haben. Alle, die ihn gekannt haben, haben gesagt: Er war nicht so verzweifelt, wie die Polizei oder das Gericht ihn im Lauf des Prozesses darstellen wollten.
Das Gerichtsverfahren, das seit 2007 läuft und vorm Landgericht Magdeburg am 12. Januar fortgesetzt werden soll, sei verschleppt worden, monieren Prozeßbeobachter …
Das Verfahren soll dafür stehen, daß es rechtsstaatlich zugeht – das Gegenteil ist der Fall: Man will Polizisten, die lügen und ihren Job nicht ordentlich gemacht haben, nicht zur Verantwortung ziehen. Eigentlich sollte der Prozeß am 25. Oktober in der Revision weiter laufen – mit langem Atem will man durch Verschieben die Protestierenden, die sich auf der Straße gegen dieses Unrecht auflehnen, dazu bringen, ihre Wut zu vergessen.
Verurteilungen von Polizisten scheitern mitunter am Korpsgeist– auch in diesem Fall?
Nicht nur Polizisten, auch die Staatsanwaltschaft und das Gericht stehen zueinander wie eine römische Legion. Eine Polizistin hat direkt nach Oury Jallohs Tod ausgesagt: Der Angeklagte Andreas Schubert soll den Alarm mehrfach weggedrückt haben, statt zu Hilfe zu eilen – sie hat das aber später zurückgenommen. Man hat sie für »psychisch labil« erklärt. An alle Polizisten soll ein »Hausmemo« mit der Schilderung des Tathergangs verschickt worden sein. Vor und nach Aussagen vor Gericht seien Polizeizeugen »Betreuer« zur Seite gestellt worden, berichten Prozeßbeobachter.
Die 1. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg hat für den Prozeß verschärfte Sicherheitsregeln angeordnet. Ist die Stimmung aufgeheizt?
Seit Prozeßbeginn 2007 wird jedes Mal ein massives Polizeiaufgebot aufgefahren, als müsse man das Gericht vor Terroristen schützen. Dabei sitzen die gefährlichen Gewalttäter im Gericht in Uniform! Wir zeigen nur mit dem Finger auf Leute im Staatsapparat, die solche Morde begehen oder vertuschen wollen. Zu den Opfern deutscher Polizeigewalt gehören Laye Alama Condé, John Achidi und Dominique Koumadio. Die Leichtfertigkeit, mit der man darüber hinweggeht, wenn Menschen anderer Hautfarbe zu Tode gebracht werden, wollen wir durchbrechen.
* Demo am 7. Januar ab 14 Uhr, Hauptbahnhof Dessau; am 8. Januar ab 13 Uhr ab Hauptbahnhof Magdeburg; Mahnwache am 12. Januar ab 9Uhr zum Beginn der Revision vorm Landgericht Magdeburg, Halberstädter Str. 8
* www.thecaravan.org
03.01.2011 / Inland / Seite 8Inhalt
http://www.jungewelt.de/2011/01-03/049.php
end
Die 6. Gedenkproteste für Oury Jalloh in Dessau - Wir kämpfen für Freiheit und Gerechtigkeit! - The VOICE Refugee Forum
Der Fall Oury Jalloh »Es muß Mord gewesen sein« - Ein Gespräch mit Araz Ardehali von Karawane Wuppertal (jw press) https://thevoiceforum.org/node/1930
•Wishes for the new decade by the Caravan the rights of refugees and migrants
https://thevoiceforum.org/node/1928
•Berlin: Save Our Community - Ganz dringende Sitzung/ ALARM / Bedrohter Aktivist Mbolo Yufanyi -
https://thevoiceforum.org/node/1924
•Hamburg: Kindeswohl: Bei Anruf Kind weg - Das Jugendamt zerstört das Vertrauen vieler Eltern http://www.thevoiceforum.org/node/1925
Reimscheid: Demo in Gedenken an Mohammad Sillah am Freitag, 14. Januar 2011 in Remscheid - Hauptbahnhof - http://www.thevoiceforum.org/node/1907
***
Die 6. Gedenkproteste für Oury Jalloh in Dessau - Wir kämpfen für Freiheit und Gerechtigkeit!
• Demonstration an Oury Jallohs 6. Todestag in Dessau zu einer Demonstrationab 14 Uhr HBF Dessau
• Mahnwache am 12.01.11 ab 9 Uhr am Prozessbeginn der Revision vor dem Landgericht Magdeburg, Halberstädter Str. 8
Wir kommen zusammen in unserem überzeugten Einsatz dafür, die rassistischen Strukturen des Staates und der Gesellschaft in der Sache Oury Jalloh zu enthüllen - symbolisch für all die Opfer staatlich organisierter Verbrechen und für die Erfahrungen, die im Kampf dafür gemacht worden sind, die Mörder Oury Jallohs beim Namen zu nennen. Wir wollen auch unseren Aufruf bekräftigen, Polizeibrutalität zu bekämpfen und zu stoppen und gegen das rassistische Profiling der Behörden vorzugehen.
Der Tod von Oury Jalloh durch Polizeigewalt, dessen wir gedenken, ist lediglich ein Aspekt der gesamten rassistischen gesetzlichen Manifestation der Ausgrenzung und Unterdrückung von Flüchtlingen und MigrantInnen. Wir erinnern uns auch an die Opfer, die an den Außengrenzen Europas gestorben sind, in Abschiebegefängnissen, während der Abschiebung oder durch die Verweigerung medizinischer Fürsorge, und sogar die Zerstörung von Leben in den Lagern ist ein Beweis für dieselbe rassistische Struktur der Gesellschaft.
Die VOICE-Flüchtlingskonferenz, die im Dezember 2010 in Jena stattgefunden hat, verabschiedete einen Appell an alle, sich uns anzuschließen in der Verurteilung des rassistischen Systems und die Öffentlichkeit über die Tode und die Misshandlungen von Flüchtlingen und MigrantInnen zu informieren sowie die verschiedenen Kampagnen miteinander und dem Fall Oury Jalloh zu verbinden. - Der Kampf um Gerechtigkeit im Fall Oury Jalloh wird fortgesetzt, auch wenn wir keinerlei Wahrheit vom Gerichtsprozess erwarten, der nächste Woche in Magdeburg beginnt.
Wir fordern die deutsche Rechtsprechung auf, eine gründliche Untersuchung des Falles durchzuführen und die rassistischen Polizeimörder Oury Jallohs festzustellen oder sich den Konsequenzen des organisierten Polizeiverbrechens der rassistischen Institutionen und Behörden zu stellen.
Wir fordern eine unabhängige Kommission zur Untersuchung des Mordes an Oury Jalloh in der Polizeizelle in Dessau.
Obwohl und vielleicht weil wir von dem neuen Prozess keine Gerechtigkeit erwarten, muss auch dieser Prozess von unabhängigen JuristInnen, MenschenrechtsaktivistInnen und Betroffenen kritisch beobachtet werden. Diese Beobachtung des Prozesses soll nicht als Legitimation der Vertuschung durch das Gericht verstanden werden, sondern als eine Delegation zur Dokumentation des Prozesses und seiner Ergebnisse.
Wir werden den Fall sehr kritisch verfolgen und fordern immer noch Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung der Familie von Oury Jalloh.
Genauso werden wir es im Fall von Laye Alama Condé halten, dem anderen Fall, wo keine Gerechtigkeit im Gerichtsverfahren erzielt wurde. Doch beide sind nur ein Teil vieler Fälle von Polizeigewalt, die tödlich endete. N'deye Mareame Sarr, Halim Dener, John Achidi, Zdravko Nikolov Dimitrov, Aamir Ageeb, Arumugasamy Subramaniam, Dominique Koumadio und viele andere sind Opfer der deutschen Polizei und ihrer rassistischen Straflosigkeit geworden. Die Mehrheit dieser Fälle wurde nicht einmal vor Gericht gebracht.
Fast sechs Jahre nach Oury Jallohs bestialischem Tod in Zelle Nr. 5 in Dessau sagen wir weiterhin: Oury Jalloh – das war Mord!
Wir fordern: Break the Silence! Wahrheit! Gerechtigkeit! Entschädigung!
The VOICE Refugee Forum
Januar 2011
Link: PM - Verschiebung und Verschleppung des LG Magdeburg im Fall Oury Jalloh
http://www.thevoiceforum.org/node/1809
Die Deklaration der „The VOICE“ Flüchtlings-Forum-Konferenz 2010 - Verstärkter Widerstand gegen institutionellen Rassismus https://thevoiceforum.org/node/1913
The VOICE Refugee Forum Network: On Colonial Injustice and the Continuity of Barbarity in Germany
https://thevoiceforum.org/node/1279
Aktivitäten zu Oury Jallohs 6. Todestag am 7. Januar 2011 und zum (wahrscheinlichen) Prozessbeginn der Revision am 12.01.11 [dt/eng/frz]
• Demonstration an Oury Jallohs 6. Todestag in Dessau zu einer Demonstration
ab 14 Uhr HBF Dessau
• Demonstration am 8. Januar in Magdeburg ab HBF um 13 Uhr
• Mahnwache am 12.01.11 ab 9 Uhr am Prozessbeginn der Revision vor dem Landgericht Magdeburg, Halberstädter Str. 8
Wir fordern: Wahrheit - Aufklärung - Gerechtigkeit!
Am 07.01.2005 verbrannte Oury Jalloh, an Händen und Füßen gefesselt, in einer Dessauer Polizeizelle. Der Prozess gegen die angeklagten Polizisten endete im Dezember 2008 mit einem Freispruch. Auf Verlangen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh legte die Nebenklage Widerspruch gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof (BGH) ein – und bekam Recht. Exakt am fünften Todestag Oury Jallohs bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH), was die Initiative Oury Jalloh und andere Organisationen bereits seit Langem anprangerten:
Der Prozess, der gegen die diensthabenden Polizeibeamten begann, war eine Farce: Vertuschung des Mordes an Oury Jalloh, Küngelei und Mauern der Polizisten, Lügen und Falschaussagen der Zeugen und Angeklagten - ohne Konsequenzen. Der BGH hat daher folgerichtig entschieden, dass der Prozess gegen einen der angeklagten Polizisten neu aufgerollt werden müsse, denn die Familie des Opfers hat ein Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Es scheint sich die Befürchtung zu
bestätigen, dass die Entscheidung, eine Revision zuzulassen, bloß der Versuch ist, den Druck zu mildern; denn der Prozess wird jetzt genau wie der erste verschoben und verschleppt. Dies zeigt abermals, dass das Rechtssystem in Deutschland keinerlei Interesse hat, die Wahrheit aufzudecken.
Die Anklage gegenüber Schubert bleibt "Körperverletzung mit Todesfolge".
Es wird weiterhin nicht in Richtung "Mord" ermittelt. Wir gehen jedoch davon aus, Oury Jalloh wurde ermordet.
Die wesentlichen Fragen, die zur Aufklärung des Mordes hätten führen können, wurden nicht beantwortet:
• Wer hat kurz vor Ausbruch des Feuers die Zelle, in der Oury Jalloh gefesselt lag, undokumentiert betreten?
• Wie gelangte ein Feuerzeug in die Zelle, obwohl Oury Jalloh zuvor gründlich durchsucht worden ist?
• Wie kann ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch eine schwer entflammbare, unbeschädigte Matratze in Brand setzen?
• Was für eine Flüssigkeit befand sich kurz vor Feuerausbruch auf dem Boden der Zelle?
• Wie wurde Oury Jallohs das Nasenbein gebrochen, eine Verletzung, die bei der ersten Obduktion nicht festgestellt wurde?
• Wo ist das Video der Tatortermittlungsgruppe und wie konnte es einfach verschwinden?
• Wie konnte die zweite Handschelle, die als Beweismittel gelten sollte, weggeworfen werden?
So entstand der Eindruck, der erste Prozess diente nur dazu, die beteiligten Polizisten zu entlasten.
Oury Jalloh - Das war Mord! Alle Versuche, den Prozess weiter zu verzögern sind Ausdruck des institutionellen und strukturellen Rassismus in Deutschland. Wir geben nicht auf! Wir vergessen nicht!
Beteiligt euch an den Aktionen! In Gedenken an Oury Jalloh wird eine Demonstration an seinem Todestag in Dessau stattfinden. Am 8. Januar wird eine weitere Demonstration in Magdeburg organisiert. Am 12. Januar beginnt der Prozess gegen den Angeklagten Andreas Schubert.
Aktivitäten zu Oury Jallohs 6. Todestag am 7. Januar 2011 und zum (wahrscheinlichen) Prozessbeginn der Revision am 12.01.11 [dt/eng/frz]
http://thecaravan.org/node/2700