13.12.2012 / Inland / Seite 2Inhalt
»Weil das Gesetz Menschenrechten widerspricht«
Flüchtling verweigert Strafzahlung wegen Mißachtung der Residenzpflicht. Ein Gespräch mit Alain Nkurunziza und Ralf Santana Lourenco
Interview: Gitta Düperthal
Alain Nkurunziza (25), Flüchtling aus Burundi, lebt seit fünf Jahren in deutschen Lagern. Ralf Santana Lourenco ist Sprecher der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten
Wegen Mißachtung der Residenzpflicht hat Sie, Alain, das Braunschweiger Landgericht im Berufungsverfahren zu einer Geldstrafe von 75 Euro in Raten verurteilt. In erster Instanz hatte das Wolfsburger Amtsgericht die doppelte Höhe angesetzt. Sie akzeptieren die Strafe aber nicht?
Alain Nkurunziza: Nein, weil das Gesetz den Menschenrechten widerspricht. Es kann doch nicht sein, daß Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, wenn sie gar nichts verbrochen haben. Weil ich als Asylsuchender nur eine Duldung habe, darf ich Niedersachsen nicht verlassen, heißt es. Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich jetzt mache, da mir Gefängnis droht, wenn ich nicht zahle. Im Alter von 18 Jahren habe ich im Knast in Burundi schlimme Erfahrungen gemacht.
Was war der Anlaß, daß Sie jetzt diese Strafe zahlen sollen?
A. N.: Ich bin seit 2009 dreimal von der Polizei kontrolliert worden, völlig grundlos – einzig wegen meiner Hautfarbe. Beispiel: Im Frühjahr 2011 hatte ich Freunde einer burundischen Trommlergruppe besucht, mit denen zusammen ich im Opel-Zoo in Frankfurt am Main aufgetreten bin. Schon war es wieder so weit: Polizeikontrolle!
Nach dem Prozeß haben Sie und Ihre Unterstützer den Richter gefragt, ob Sie die Strafe in Gutscheinen zahlen können …
A. N.: Weil ich monatlich 102 Euro Bargeld und 134 Euro in Gutscheinen bekomme. Der Richter hatte geantwortet: Ich könne von meinem Bargeld etwas für die Ratenzahlung der Strafe abzweigen. Gutscheine wären keine angemessene Zahlweise. Wenn das so ist, verstehe ich aber nicht, wieso die Regierung uns damit abspeisen kann.
Nanu, wieso erhalten Sie nur 236 Euro monatlich, inklusive Gutscheine? Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Höhe der Leistungen für rechtswidrig erklärte, müßten Sie doch 346 Euro erhalten?
A. N.: Das verstehe ich auch nicht, aber im Lager Fallersleben/Wolfsburg erhalte ich trotzdem 110 Euro weniger. Das wurde damit begründet, daß ich nur eine Duldung habe.
Sie haben den Richter zudem gefragt, ob sie zukünftig arbeiten dürfen. Was hat er gesagt?
A. N.: Die Frage hat er mißverstanden. Er hat geglaubt, ich wolle Sozialstunden leisten, um meine Strafe abzuarbeiten. Ich habe ihm geantwortet: »Ich bin doch kein Sklave!«
Kamen in dem Prozeß Ihre Fluchtgründe zur Sprache?
A. N.: Als Fünfzehnjähriger wurde ich bei einem Rebellenangriff zusammen mit anderen Jugendlichen entführt und verbrachte etwa zwei Jahre in ihrer Gewalt. Nach Gefechten mußten wir die Verletzten und Toten bergen. Vor unseren Augen wurden Menschen erschossen. Befehlsverweigerung stand unter Todesstrafe. Es gelang mir zu flüchten – in mein Dorf zurückgekehrt, erfuhr ich, daß meine Familie getötet worden war. Nur mein jüngerer Bruder hatte überlebt. Ich ging also zu meinem Onkel. Nach einer Woche wurde ich verhaftet und mit dem Vorwurf, gegen die Regierung gekämpft zu haben, ins Gefängnis gebracht. Mit Hilfe meines Bruders, der Geld brachte, gelang mir nach Monaten die Flucht. Gegen Bezahlung organisierten Leute einen Flug nach Europa. Am 20. September 2007 kam ich in Frankfurt/Main an. All das hat man mir aber im Bundesamt für Flüchtlinge und Migration nicht geglaubt. Deshalb lebe ich im Lager, bin nur geduldet, darf nicht arbeiten und kämpfe gegen die mir auferlegte Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
Es gibt nur partielle Lockerungen der Residenzpflicht in einigen Bundesländern. Wie ist das rechtlich zu beurteilen?
Ralf Santana Lourenco: Ein rassistisches Gesetz kann man nicht reformieren, sondern nur abschaffen. Die sogenannten Lockerungen gelten nur für bestimmte Personengruppen, für andere werden sie als Sanktionsmittel angewandt.
Ist auf juristischer Ebene nicht gegen die Residenzpflicht anzugehen?
R.S.L.: Nein, uns bleibt nur der politische Kampf auf der Straße, wie man auch an Alains Fall sieht.1997 hielt das Bundesverfassungsgericht die Residenzpflicht für zumutbar, weil das Grundrecht auf Freizügigkeit nur für Deutsche gilt. 2007 hat der Europäische Gerichtshof ebenso keine Position gegen die rassistische Verfaßtheit des deutschen Staates bezogen, die diskriminierende Sondergesetze zuläßt. Das Gerede von der Würde des Menschen ist nur blödes Geschwätz.
http://www.jungewelt.de/2012/12-13/046.php
Alain Nkurunziza gegen Residenzpflicht - Aufruf zur Kundgebung und Prozessbeobachtung https://thevoiceforum.org/node/2971
Prozess um Bewegungsfreiheit am „Tag der Menschenrechte“
https://thevoiceforum.org/node/2985
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12.12.2012 / Inland / Seite 2Inhalt
129 Flüchtlinge abgeschoben
Karlsruhe: Maschine nach Serbien und Mazedonien gestartet – trotz Protesten
Neun Bundesländer haben in einer gemeinsamen Aktion 129 Flüchtlinge nach Serbien und Mazedonien abgeschoben. Mit einem Flugzeug wurden sie von Karlsruhe aus in ihre Herkunftsländer gebracht, wie ein Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums auf dapd-Anfrage bestätigte. Laut Bundespolizei startete das Flugzeug planmäßig am Dienstag morgen. Zehn Menschen demonstrierten am Flughafen friedlich gegen die Abschiebung.
Nach Angaben des Ministeriumssprechers stammen 73 der Deportierten aus Serbien und 56 aus Mazedonien. Ob es sich bei ihnen hauptsächlich um Roma-Flüchtlinge handelte, konnte er nicht sagen. Baden-Württemberg wies entgegen der jüngsten Planung nur drei Flüchtlinge aus. Am Montag hatte es noch geheißen, sieben Menschen müßten das Land verlassen. Die weiteren vier Betroffenen wurden nach Angaben des Stuttgarter Innenministeriums nicht angetroffen und sollen nun zu einem späteren Zeitpunkt abgeschoben werden.
Ursprünglich war die Rückführung von 180 Serben und Mazedoniern vorgesehen, davon 20 aus Baden-Württemberg. Am Montag hatte Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) die Abschiebung von 13 Flüchtlingen aber vorerst ausgesetzt. Sie erhielten eine befristete »Weihnachtsamnestie« und sollen im kommenden Jahr abgeschoben werden. Ein Datum steht laut Innenministerium noch nicht fest. Der Landesverband der Linkspartei fordert von der baden-württembergischen Regierung von Grünen und SPD einen sofortigen Abschiebestopp und ein dauerhaftes Bleiberecht für alle. »Wer bleiben will, soll bleiben, anstatt täglich mit der Angst vor einer Abschiebung konfrontiert zu sein«, sagte Dirk Spöri vom Vorstand der Linken.
Die Zahl der Roma-Flüchtlinge aus Serbien und Mazedonien ist 2012 in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte vor diesem Hintergrund Stimmung gegen »Wirtschaftsflüchtlinge« gemacht und schärfere Regeln für Asylbewerber aus Serbien und Mazedonien gefordert. Unter anderem hatte er eine Aussetzung der Visafreiheit für die beiden Länder ins Gespräch gebracht. Unterdessen hat sich die CDU-SPD-Regierungskoalition im Thüringer Landtag für einen Winterabschiebestopp für Roma ausgesprochen. Einen förmlichen Beschluß hierzu gibt es jedoch noch nicht.