Zähne nicht behandelt, sondern gleich gezogen - Reaktionen auf Artikel „Lagerleben“ von Gitta Jungewelt press
"Besucher sind in Zella-Mehlis nicht willkommen“ Unedited press report
https://thevoiceforum.org/node/2159/
Zähne nicht behandelt, sondern gleich gezogen
Ein Gesundheitspolitiker attackiert Thüringer Zahnärzte: Sie sollen Asylbewerber falsch behandelt haben. Die Ärzte weisen das empört zurück. Der Streitfall könnte bald die Gerichte beschäftigen.
Von Eike Kellermann
Erfurt - Thomas Hartung, parteiloses Mitglied der SPD-Fraktion und selbst Arzt, hat in der jüngsten Zeit mehrfach von Fällen wie diesem gehört. Eine junge Frau von Mitte 20 aus der Ukraine, die im Ausländerheim Zella-Mehlis lebt, geht mit leichten Zahnschmerzen zum Zahnarzt. Als sie in die Unterkunft zurückkehrt, ist der Backenzahn gezogen. Ihr Mann, ein Algerier, bestätigt diese Darstellung bei einem Telefonat mit unserer Zeitung.
Das könne nicht legal sein, was da passiert ist, sagt der junge Mann über die Behandlung, die bereits einige Monate zurückliege. Er wisse von einem anderen Asylbewerber aus dem Kosovo, dem innerhalb von zwei Wochen sogar fünf Zähne gezogen worden seien. Derartige Fälle haben den Politiker Hartung zu der Überzeugung gebracht, dass er auf einen generellen Missstand gestoßen ist.
Daher hat er von der Landesregierung die Daten zu Zahnbehandlungen bei Asylbewerbern abgefragt. Diese belegen nach seiner Ansicht "gravierende Unterschiede im Umgang mit Asylbewerbern von Landkreis zu Landkreis". So gab es 2010 im Landkreis Hildburghausen 43 derartige Zahnbehandlungen. Dabei sei ein Zahn erhalten worden - neun aber wurden gezogen.
Ähnlich flink beim Griff zur Zange sollen Zahnärzte in den Landkreisen Altenburg und Saale-Orla sowie in den Städten Eisenach und Erfurt gewesen sein. Hier liege der Anteil der entfernten Zähne bei 35 bis über 50 Prozent. Im Durchschnitt waren es bei der Behandlung von Asylbewerbern gut 20 Prozent. Bei der Normalbevölkerung, so der Notfallmediziner, würden hingegen nur maximal fünf Prozent der behandelten Zähne gezogen.
"Ich halte diesen Missstand für nicht hinnehmbar", sagt der Gesundheitspolitiker, der in seiner Kritik von Linkspartei und Grünen unterstützt wird. "Verantwortlich ist jeder Zahnarzt, der nicht fachgerecht die Leistungen erbringt." Dabei könne es sich sogar um Körperverletzung handeln. Hartung empfiehlt Betroffenen eine Klage. Dafür bietet er seine Hilfe sowie die eines Anwaltes an, der kostenlos arbeiten wolle. Auch ein Sprecher von Gesundheitsministerin Heike Taubert (SPD) kündigt an: "Wenn uns derartige Fälle bekannt werden, werden wir dem nachgehen."
Die Ursachen für den Missstand liegen nach Hartungs Ansicht aber tiefer. So schreibt die bundesdeutsche Gesetzgebung vor, Asylbewerber nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzen zu behandeln. Zahnersatz gibt es lediglich, "soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist".
Hartung verweist aber auch auf Vorgaben der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Thüringen. Demnach bekommt ein Zahnarzt bei der Behandlung von Asylbewerbern nur wenige Leistungen problemlos erstattet. Dazu gehört das Zahnziehen. Weitere Leistungen würden nur bezahlt, wenn das zuständige Sozialamt die Kostenübernahme zugesagt habe. Ein Zahnarzt könnte deshalb in Versuchung kommen, einen schmerzenden Zahn gleich zu ziehen statt ihn zu behandeln, wenn das vom Sozialamt eines Landkreises dann nicht bezahlt wird. Deshalb verlangt Hartung auch eine Überprüfung der Behörden.
Dass Zahnärzte falsch behandeln, bestreitet ihr Verband jedoch ausdrücklich. "Ich fühle mich persönlich verletzt", sagt Zahnarzt Karl-Heinz Müller von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung. Es herrsche "großer Unmut" über Hartung. Dessen Vorwürfe seien "schlecht recherchiert". So sei es ein Witz, wie der Gesundheitspolitiker die Zahlen der Zahnbehandlung in Hildburghausen interpretiere. Sie belegten vielmehr, was die Ärzte zur Erhaltung der Zähne unternommen hätten.
Sollte es jedoch Fehler gegeben haben, werde man juristisch gegen Kollegen vorgehen, kündigt der Verbandsvertreter an. Hartung müsse jetzt Namen nennen. Allerdings könnte dem Politiker ebenfalls Ärger drohen. "Er scheint Wellen zu wollen, die kriegt er jetzt auch", sagt Zahnarzt Müller vieldeutig.
http://www.insuedthueringen.de/regional/thueringen/thuefwthuedeu/art834…
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SPD beklagt schlechtere Zahnbehandlung bei Asylbewerbern
04.08.11 | 16:32 Uhr In Thüringen ist eine Debatte über die zahnärztliche Versorgung von Asylbewerbern entbrannt. Nach Auffassung des SPD-Gesundheitsexperten Thomas Hartung bekommen diese nur eine mangelhafte Behandlung. Asylbewerber könnten sich nicht darauf verlassen, dass der medizinische Standard, demzufolge der Erhalt eines Zahns vor dessen Entfernung gehe, eingehalten werde, sagte er am Donnerstag in Erfurt.
SPD beklagt schlechtere Zahnbehandlung bei Asylbewerbern
Erfurt (dapd-lth). Die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) wies die Kritik zurück.
Einer Aufstellung der Landesregierung zufolge wurde 2010 bei Asylbewerbern durchschnittlich jeder fünfte behandelte Zahn gezogen, sagte Hartung weiter. Bei normal Versicherten liege die Quote hingegen bei höchstens fünf Prozent. Die gesetzlichen Regelungen erlaubten jedoch keine vergleichbare Behandlung, sagte er.
Einer der Gründe ist für Hartung die nur eingeschränkte Übernahme von Behandlungskosten. In einem Rundschreiben habe die KZV Leistungen definiert, deren Kosten ohne Übernahmeerklärung durch die Sozialämter erstattet würden. Für darüber hinausgehende Behandlungen seien entsprechende Erklärungen der Behörden erforderlich. Dieser Missstand sei nicht hinnehmbar, sagte er.
Betroffene berichteten von Behandlungsfehlern
In den vergangenen Wochen hätten ihn Betroffene, aber auch Amtszahnärzte und Sozialarbeiter auf die Zustände aufmerksam gemacht. Dadurch seien ihm mindestens drei Fälle von Behandlungsfehlern bekannt. Seiner Ansicht nach reicht dies bis in den Bereich der Körperverletzung.
Hartung plädierte dafür, dass die Behörden ihre restriktive Haltung bei der Kostenerstattung aufgeben. Andererseits ließe sich das Problem lösen, erhielten Asylbewerber Krankenversicherungen.
Linke-Flüchtlingsexpertin Sabine Berninger sagte, dass sie eine Änderung durch die Landesregierung erwarte, 'wenn jetzt diese Missstände selbst aus der Regierungskoalition heraus in aller Deutlichkeit kritisiert werden'. Zugleich forderte sie erneut die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Nach Ansicht der Grünen-Abgeordneten Astrid Rothe-Beinlich ist das Ziehen behandelbarer Zähne eine systematische Körperverletzung. Sie forderte Innenminister Jörg Geibert (CDU) auf, 'diesen permanenten Rechtsbruch schnellstens zu beenden'. Auch die KZV sei in der Pflicht.
KZV-Präsident verweist auf bestehende Gesetze
KZV-Präsident Karl-Friedrich Rommel wies die Kritik zurück. In einem Brief an die Landeszahnärztekammer und die Gesundheitsministerin Heike Taubert (SPD) habe er daran erinnert, dass über Schmerzbehandlungen hinausgehende Leistungen genehmigungspflichtig seien, sagte er. Dies sei mit den Sozialämtern abgestimmt. Ihm seien mehrere Fälle bekannt, in denen Städte und Kommunen zur Kostenübernahme aber nicht bereit gewesen seien.
Zugleich verwies er darauf, dass Asylbewerber oftmals äußerst schlechte Zähne hätten und teils nach Jahrzehnten erstmals einen Zahnarzt aufsuchten. Als Parlamentarier habe Hartung jedoch die Chance, die gesetzlichen Regelungen zu ändern, sagte er weiter.
In Thüringen lebten 2010 etwa 2.800 Asylbewerber. Hartung sicherte sowohl den Betroffenen als auch den in ihrer Arbeit eingeschränkten Ärzten seine Hilfe zu.
dapd/sw
http://www.ad-hoc-news.de/spd-beklagt-schlechtere-zahnbehandlung-bei-as…
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Asylbewerbern werden häufiger die Zähne gezogen
In Notfällen müssen sich die Patienten vor einer Behandlung die Übernahme der Kosten durch das Sozialamt bestätigen lassen. Archivfoto: Markus Gille
Asylbewerber in Thüringen bekommen nach Ansicht des SPD-Gesundheitsexperten Thomas Hartung nur eine mangelhafte Zahnbehandlung. Sie könnten sich nicht darauf verlassen, dass der medizinische Standard, demzufolge der Erhalt eines Zahns vor dessen Entfernung gehe, eingehalten werde, sagte er am Donnerstag.
Erfurt. Asylbewerbern in Thüringen werden nach Aussage des SPD-Gesundheitsexperten Dr. Thomas Hartung überdurchschnittlich häufig Zähne gezogen. Und das, obwohl für die Patienten auch eine einfache Schmerzbehandlung ausreichen würde.
In den vergangenen drei Monaten hätten sich immer wieder Betroffene aus unterschiedlichen Landkreisen gemeldet, erklärte Hartung weiter. "Dabei mussten wir feststellen, dass geltende medizinische Standards einfach nicht eingehalten werden." Amtszahnärzte hätten das in Gesprächen bestätigt, so Hartung. Beispiele gebe es aus Zella-Mehlis und Schleiz. "Die Beteiligten wollen aber anonym bleiben."
Vergleicht man beispielsweise den Anteil der gezogenen an den behandelten Zähnen bei Asylbewerbern, werden die gravierenden Unterschiede deutlich. So liegt der Anteil der extrahierten Zähne in Eisenach bei 43 Prozent, im Altenburger Land wurden sogar 55 Prozent der behandelten Zähne gezogen. "Es gibt aber auch positive Beispiele - im Kyffhäuserkreis wurden keine Zähne gezogen", erklärte Hartung mit Verweis auf die Aufstellung der Landesregierung. Durchschnittlich wurde im vergangenen Jahr bei den Asylbewerbern - 2800 leben in Thüringen - jeder fünfte behandelte Zahn gezogen. Bei normal Versicherten liegt die Quote bundesweit zwischen 0,5 und fünf Prozent.
Einer der Gründe für falsche Behandlung sei die stark eingeschränkte Übernahme von Behandlungskosten durch die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV), beziehungsweise durch das Sozialamt. Auch in akuten Notfällen müssten sich die Betroffenen vor einem Praxisbesuch die Übernahme der Kosten bestätigen lassen. "Die Fälle werden meist von Nicht-Zahnärzten beurteilt - es geht daher nicht um medizinische, sondern finanziellen Kriterien."
Die KZV, die ihren Sitz in Erfurt hat, reagierte gestern mit scharfer Kritik auf die Vorwürfe. "Die Anschuldigen sind nicht nachvollziehbar", sagte Pressereferent Dr. Karl-Heinz Müller. Zumal es bislang keine konkreten Beispiele für Behandlungsfehler gebe. "Wir können Einzelfälle natürlich nie ganz ausschließen - aber bislang ist nichts bekannt", erklärte Müller, der gleichzeitig niedergelassener Zahnarzt in Rudolstadt ist. Hinzu käme, dass man als KZV an die Gesetze des Landes gebunden sei. Die zahnärztlichen Leistungen, die vom Sozialamt anerkannt werden, seien klar definiert. "Den Ärzten wird eine bewusste Körperverletzung unterstellt - gegen diese Verleumdung behalten wir uns rechtliche Schritte vor", erklärte Müller weiter. Gleichwohl würde man, falls Verfehlungen bekannt würden, disziplinarisch gegen die Mediziner vorgehen.
Auch der Vorsitzende der KZV, Dr. Karl-Friedrich Rommel, sieht dringenden Handlungsbedarf - und zwar aufseiten der Politik. "Die Landtagsabgeordneten müssen einen gesetzlichen Rahmen schaffen", erklärte er. Es müsse endlich klar definiert werden, welche Leistungen den Asylbewerbern zustehen und wer diese zahlt.
In einem Brief an die Landeszahnärztekammer und die Gesundheitsministerin Heike Taubert (SPD) hat Rommel bereits darauf aufmerksam gemacht, dass über Schmerzbehandlungen hinausgehende Leistungen genehmigungspflichtig seien. Ihm seien mehrere Fälle bekannt, in denen Städte und Kommunen zur Kostenübernahme nicht bereit gewesen seien, so der Mediziner.
Gleichzeitig wies Rommel darauf hin, dass viele Asylbewerber aus Ländern kämen, in denen es keine oder nur eingeschränkte Zahnbehandlung gebe. "Manche Zähne sind einfach nicht zu retten."
Die Linke-Flüchtlingsexpertin Sabine Berninger forderte in der laufenden Debatte erneut, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen. Und auch die Grünen übten gestern scharfe Kritik an der vermeintlich gängigen Praxis. Nach Ansicht der Abgeordneten Astrid Rothe-Beinlich ist das Ziehen behandelbarer Zähne eine systematische Körperverletzung. Sie forderte deshalb CDU-Innenminister Jörg Geibert auf, den "permanenten Rechtsbruch schnellstens zu beenden".
Peter Rathay / 04.08.11 / tag
http://www.otz.de/startseite/detail/-/specific/Asylbewerbern-werden-hae…
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Zähne von Asylanten werden gezogen und nicht behandelt
Innerhalb von zwei Wochen sollen einem Flüchtling aus dem Kosovo fünf Zähne gezogen worden sein. Grund: Zahnziehen ist preiswerter als Wurzelbehandlungen. Foto: dapd
Seine Frau habe Zahnschmerzen gehabt und eine Ärztin aufgesucht, berichtet Miloud Lahmar. Sie sei davon ausgegangen, dass sie wegen der Schmerzen behandelt wird. Doch als sie zurückkehrte, sei ein Zahn gezogen gewesen, so der 26-Jährige. Das Ehepaar lebt im Asylbewerberheim Zella-Mehlis.
Erfurt. Was seiner Frau passiert ist, sagt Lahmar, sei kein Einzelfall. Und er erzählt von einem Flüchtling aus dem Kosovo, dem innerhalb von zwei Wochen fünf Zähne gezogen wurden.
Thomas Hartung , selbst Mediziner und parteiloser SPD-Landtagsfraktionär, kennt solche Schilderungen zur Genüge. Zunächst dachte er, das habe nichts zu besagen. Schließlich kämen manche Flüchtlinge "mit einem nicht ganz so tollen Zahnstatus" in den Freistaat. Doch der Parlamentarier hakte nach. Und er hörte ähnliche Klagen aus unterschiedlichen Landkreisen. Bei Asylanten - egal welchen Alters - schienen die Zähne oftmals in einem so katastrophalen Zustand, dass sie nicht mehr zu retten waren. So müssen es die Ärzte zumindest ihren Patienten erklärt haben.anderer.
Zahn ziehen statt teurer Wurzelbehandlung
Das wurde Hartung unter anderem von einer Sozialarbeiterin sowie einer Zahnärztin bestätigt. Weil die Ärzte Schwierigkeiten haben, eine vergleichsweise teure Wurzelbehandlung, die den Zahn retten könnte, abzurechnen, bevorzugen sie die Extraktion. Bereits in der Vergangenheit soll es diesbezüglich Differenzen zwischen der Kassenzahnärtzlichen Vereinigung (KZV) Thüringen und den zuständigen Sozialämtern gegeben haben, die sich weigerten erbrachte Leistungen zu begleichen.
Hartung macht diese scheinbar gängige Praxis bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen "wütend und traurig" zugleich. "Ihnen steht genau wie jedem anderen eine ordentliche Behandlung zu", betont er. Das ist auch in Paragraf 4 Absatz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) eindeutig festgelegt.
Darin heißt es: "Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren." Wird dennoch grundlos ein Zahn gezogen, wird der Betroffene mit der unschönen Lücke leben müssen. Das AsylbLG besagt nämlich auch: "Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist."
Um der Angelegenheit weiter auf den Grund zu gehen, hat Hartung nun eine Reihe von parlamentarischen Anfragen gestellt. Beispielsweise will er von der Landesregierung wissen, wie viele zahnmedizinische Behandlungen in den vergangenen fünf Jahren in Thüringen an Asylbewerbern vorgenommen wurden und wie viele davon mit dem Ziehen der Zähne endeten. Und: "Wie hoch ist der Anteil der Zahnextraktionen an den zahnmedizinischen Behandlungen in der Thüringer Bevölkerung deutscher Nationalität?" Sollten sich die Anschuldigungen bewahrheiten, "dann ist das Vorgehen der Ärzte nicht Stand der Wissenschaft und widerspricht jeder Ethik", sagt Hartung. "Das ist das eine Verstümmelung, eine Körperverletzung", fügt er hinzu.
Keine Füllungen und Prophylaxe für Kinder
Gegebenenfalls will Hartung Anzeige erstatten. Beim Flüchtlingsrat Thüringen ist man mit der Situation unterdessen bestens vertraut. "Das geht sogar soweit, dass normale Füllungen und die Prophylaxe für Kinder nicht gemacht werden", sagt Ellen Könneker vom Flüchtlingsrat. Ihr seien Probleme unter anderem aus den Landkreisen Sömmerda und Saalfeld-Rudolstadt sowie der Stadt Eisenach bekannt. "Das ist eine Katastrophe und absolut rechtswidrig", so Könneker. Vor Jahren sei man diesbezüglich auch bereits mit der KZV in Kontakt getreten.
Deren Hauptgeschäftsführer, Michael Werner, sagt jedoch, ihm seien keine Klagen bekannt. "Selbstverständlich sind notwendige Behandlungen durchzuführen", betont er. Doch der Flüchtlingsrat könne sich gerne an die KZV wenden - "und Ross und Reiter nennen".
Elmar Otto / 28.07.11 / TLZ
http://www.otz.de/startseite/detail/-/specific/Zaehne-von-Asylanten-wer…
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[Thueringen Isolationslager] Flüchtlinge mürbe gemacht Keine Wohnungen: Landrat will Zella-Mehliser Asylbewerber in andere isolierte Sammelunterkunft verlegen https://thevoiceforum.org/node/2174/
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Lagerleben - "Besucher sind in Zella-Mehlis nicht willkommen“ Unedited press report
(Nicht überarbeitete und ungekürzte Originalversion einer Reportage von Gitta Düperthal. Es handelt sich somit um die Korrektur der in der Jungen Welt vom 18.6.2011 veröffentlichten Fassung unter dem Titel „Verordnete Tristesse“
"Weiter in die Behausung des 43-jährigen Gamil Asherov, vor acht Monaten aus Aserbaidschan geflohen. Dort, in der Armee, sei er als Scharfschütze ausgebildet. Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe man ihn gefragt, ob er bereit sei, als Offizier bei der Bundeswehr zu arbeiten. Ist er! Ob er denn weiß, dass er möglicherweise nach Afghanistan muss, wo derzeit auch Soldaten getötet werden, fragen wir. „Lieber sterben, als hier herumsitzen, zum Nichtstun verurteilt“. Er lässt sich mit deutscher Flagge fotografieren". . . . .
"Ob die Angst der Flüchtlinge vor den Verantwortlichen, die ihnen schlaflose Nächte bereiten, sie mit Abschiebung bedrohen, rechtlos und respektlos in Chaos und Langeweile versinken lassen, größer ist – oder die Wut? Sichtlich freier fühlen sich Flüchtlingsaktivisten von The Voice – sie glauben nicht mehr daran Gnadenakte der Verantwortlichen zu erreichen, weil man brav ist, sich mit kleinen Geschenken einschmeichelt oder versucht, sich quasi unsichtbar zu machen. Die Organisation plant, alles auf eine Karte zu setzen: „Alle vier Lager in Thüringen müssen geschlossen werden“, sagt deren Sprecher Osaren Igbinoba. „Gangloffsömmern macht zum 31. August dicht – für die Schließung der deprimierenden Unterkünfte in Breitenworbis, Gerstungen und Zella-Mehlis werden wir weiter kämpfen“. Igbinoba bittet, die Flüchtlinge nicht allein zu lassen, sondern ihnen mit Besuchen Solidarität zu erweisen."
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05.08.2011 / Inland
Asylbewerber falsch behandelt
Thüringer Ärzte ziehen erhaltenswerte Zähne
Zähne ziehen statt behandeln – so endet nach Informationen der Thüringer SPD-Fraktion für viele Asylbewerber der Zahnarztbesuch. »Körperverletzung«, sagen Abgeordnete und fordern ein Einschreiten der Thüringer Landesregierung.
Erfurt (dpa/ND). Asylbewerber in einigen Thüringer Landkreisen werden nach Ansicht des SPD-Landtagsabgeordneten Thomas Hartung falsch behandelt. Aus Kostengründen würden ihnen lieber Zähne gezogen als teure Wurzelbehandlungen angeboten, kritisierte Hartung am Donnerstag in Erfurt. Die Verantwortung dafür liege aber weniger bei den Zahnärzten als bei den Sozialämtern, die die Kosten für medizinisch angebrachte Leistungen in einigen Kreisen scheinbar nicht übernähmen. »Das wird oft von Nicht-Zahnärzten – und daher nicht nach medizinischen, sondern finanziellen Kriterien – beurteilt«, kritisierte Hartung.
Auffällig seien die großen Unterschiede in den einzelnen Thüringer Landkreisen. So werden einer Antwort auf eine Landtagsanfrage zufolge im Kreis Hildburghausen neun von zehn behandelten Zähnen eines Asylbewerbers gezogen. Auch im Altenburger Land konnte jeder zweite behandelte Zahn nicht gerettet werden. Im Kyffhäuserkreis dagegen wurden 105 Zähne behandelt und kein einziger gezogen. »Es muss einen Grund geben, dass die Menschen in bestimmten Regionen anders behandelt werden«, sagte Hartung. »Es ist unwahrscheinlich, dass die Asylbewerber dort so viel schlechtere Zähne haben als anderswo.« Wahrscheinlicher sei, dass die Ärzte hier teure Behandlungen nicht abrechnen könnten und auf den Kosten sitzen blieben.
Bereits in der Vergangenheit habe es Differenzen zwischen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) und den Sozialämtern gegeben, die sich weigerten, erbrachte Leistungen zu begleichen. Dabei stehe den Asylbewerbern eine »ordentliche Behandlung« zu, betonte Hartung. In Paragraf 4 des Asylbewerbergesetzes ist festgelegt, dass Kosten für die Behandlung akuter Schmerzen übernommen werden müssen. Wird dennoch ein Zahn gezogen, muss der Betroffene aber mit der Lücke leben. Denn dasselbe Gesetz besagt auch: »Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.«
Das Ziehen von behandelbaren Zähnen sei eine »systematische Körperverletzung«, die »offenkundig durch öffentliche Behörden begünstigt« werde, erklärte die Grünen-Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich. Innenminister Jörg Geibert (CDU) müsse diesen »permanenten Rechtsbruch« schnellstens beenden. Auch die Linksfraktion forderte eine Besserung der »menschenunwürdigen medizinischen Versorgung von Flüchtlingen«.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/203705.asylbewerber-falsch-beha…
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Ach du lieber Zahn!
Die SPD beklagt, dass der Steuerzahler nicht mehr für seine Asylbewerber ausgibt. Deshalb müssten denen mehr Zähne gezogen werden als dem “normalen” Beitragszahler. Der muss zwar für Luxusbehandlungen zuzahlen – aber hallo, wen störts? Natürlich soll der Asylbewerber auf Kosten des Beitragszahlers und der Steuermelkkuh nicht schlechter dastehen.
“Trading-house-net.” schreibt:
In Thüringen ist eine Debatte über die zahnärztliche Versorgung von Asylbewerbern entbrannt. Nach Auffassung des SPD-Gesundheitsexperten Thomas Hartung bekommen diese nur eine mangelhafte Behandlung. Asylbewerber könnten sich nicht darauf verlassen, dass der medizinische Standard, demzufolge der Erhalt eines Zahns vor dessen Entfernung gehe, eingehalten werde, sagte er am Donnerstag in Erfurt.
Die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) wies die Kritik zurück.
Einer Aufstellung der Landesregierung zufolge wurde 2010 bei Asylbewerbern durchschnittlich jeder fünfte behandelte Zahn gezogen, sagte Hartung weiter. Bei normal Versicherten liege die Quote hingegen bei höchstens fünf Prozent. Die gesetzlichen Regelungen erlaubten jedoch keine vergleichbare Behandlung, sagte er.
Einer der Gründe ist für Hartung die nur eingeschränkte Übernahme von Behandlungskosten. In einem Rundschreiben habe die KZV Leistungen definiert, deren Kosten ohne Übernahmeerklärung durch die Sozialämter erstattet würden. Für darüber hinausgehende Behandlungen seien entsprechende Erklärungen der Behörden erforderlich. Dieser Missstand sei nicht hinnehmbar, sagte er.
Betroffene berichteten von Behandlungsfehlern
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Linke-Flüchtlingsexpertin Sabine Berninger sagte, dass sie eine Änderung durch die Landesregierung erwarte, ‘wenn jetzt diese Missstände selbst aus der Regierungskoalition heraus in aller Deutlichkeit kritisiert werden’. Zugleich forderte sie erneut die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Nach Ansicht der Grünen-Abgeordneten Astrid Rothe-Beinlich ist das Ziehen behandelbarer Zähne eine systematische Körperverletzung. Sie forderte Innenminister Jörg Geibert (CDU) auf, ‘diesen permanenten Rechtsbruch schnellstens zu beenden’
Das nennt man dann wohl “auf den Zahn fühlen”…
http://www.pi-news.net/2011/08/ach-du-lieber-zahn/
Menschenunwürdige medizinische Versorgung von Flüchtlingen beenden
Erfurt. Mit Verweis auf die gestrige Pressekonferenz in der SPD-Fraktion zur “Zahnbehandlung von Asylbewerbern”, erklärt Sabine Berninger, sie begrüße es, dass sich der SPD-Abgeordnete und Mediziner Dr. Thomas Hartung der menschenunwürdigen medizinischen Versorgung von Flüchtlingen annimmt. Sie hoffe natürlich, dass es dadurch in Thüringen auch zu einer Änderung dieser mehr als fragwürdigen Praxis kommen werde.
Die Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Linksfraktion betont, dass sie nun entsprechende Änderungsinitiativen der Landesregierung erwartet, “wenn jetzt diese Missstände selbst aus der Regierungskoalition heraus in aller Deutlichkeit kritisiert werden”.
“Grundlage dieser diskriminierenden medizinischen Behandlungspraxis von Flüchtlingen ist das Asylbewerberleistungsgesetz, das endlich abgeschafft werden muss, wie es viele Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Kirchen schon lange Zeit fordern”, so Berninger weiter. Die LINKE Abgeordnete regt “ein gemeinsames parlamentarisches Vorgehen der Fraktionen des Thüringer Landtags für eine entsprechende Bundesratsinitiative” an und setzt dabei “natürlich auf die Unterstützung der SPD”.
http://www.jenapolis.de/135703/menschenunwuerdige-medizinische-versorgu…
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4. August 2011
Menschenunwürdige medizinische Versorgung von Flüchtlingen beenden
Mit Verweis auf die heutige Pressekonferenz in der SPD-Fraktion zur „Zahnbehandlung von Asylbewerbern“, erklärt Sabine Berninger, sie begrüße es, dass sich der SPD-Abgeordnete und Mediziner Dr. Thomas Hartung der menschenunwürdigen medizinischen Versorgung von Flüchtlingen annimmt. Sie hoffe natürlich, dass es dadurch in Thüringen auch zu einer Änderung dieser mehr als fragwürdigen Praxis kommen werde.
Die Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Linksfraktion betont, dass sie nun entsprechende Änderungsinitiativen der Landesregierung erwartet, „wenn jetzt diese Missstände selbst aus der Regierungskoalition heraus in aller Deutlichkeit kritisiert werden“.
„Grundlage dieser diskriminierenden medizinischen Behandlungspraxis von Flüchtlingen ist das Asylbewerberleistungsgesetz, das endlich abgeschafft werden muss, wie es viele Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Kirchen schon lange Zeit fordern“, so Berninger weiter. Die LINKE Abgeordnete regt „ein gemeinsames parlamentarisches Vorgehen der Fraktionen des Thüringer Landtags für eine entsprechende Bundesratsinitiative“ an und setzt dabei „natürlich auf die Unterstützung der SPD“.
http://www.die-linke-thl.de/nc/presse/pressemitteilungen/detail/kategor…
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„Lagerleben - Besucher sind in Zella-Mehlis nicht willkommen“
Lagerleben. Die Atmosphäre im Flüchtlingslager Zella-Mehlis ist ein geschlossenes System ständiger Kontrolle durch Obrigkeiten. Den Bewohnern ist jegliche Selbstbestimmung genommen. Misstrauen und Denunziation vergiften das Zusammenleben. Sie leiden unter extremer Armut. Als ultimative Drohung gilt den Flüchtlingen, nachts aus dem Bett gerissen und gegen ihren Willen in ihr Herkunftsland verfrachtet zu werden, wo sie Schlimmeres erwartet. Das wird per Post angedroht. Briefe zu erhalten, bedeutet meist nichts Gutes. Sondergesetze sorgen dafür, dass jeder Spaziergang oder jede Beteiligung an einer öffentlichen Veranstaltung, als Straftat gewertet werden kann. Beim Einkauf mit Gutscheinen sind Flüchtlinge als solche erkennbar, stigmatisiert als Menschen zweiter Klasse.
Besucher sind hier nicht willkommen, Presse schon gar nicht. Jedenfalls offiziell im Auftrag des Landratsamtes. Ist man erst mal drinnen, sieht das anders aus. Flüchtlinge freuen sich über Besuch, bitten uns gastfreundlich in ihre beengten Behausungen mit feuchten schimmligen Wänden und bröckelndem Putz hinein. Journalisten habe man in der Vergangenheit bereits aufgefordert, sich vorm Besuch beim Landratsamt anzumelden, hatten Bewohner berichtet. Deshalb haben wir, Fotografin und Reporterin von Junge Welt, uns entschieden, inkognito aufzutreten. Die Pforte der Gemeinschaftsunterkunft Zella-Mehlis ist an diesem sonnigen Tag gleich doppelt besetzt. Nicht nur ein Wachmann sitzt dort wie üblich; auch der Hausmeister des Lagers, Mathias Schatz, ist zugegen. Offenbar hat sich unser Besuch im Flüchtlingslager wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Ausweiskontrolle. Er wird auch gleich einbehalten: „Im Auftrag des Landratsamtes“. Schatz fragt die Gäste im Oberlehrerton, wen sie besuchen wollen. Gegenfrage: „Was hat Sie das denn zu interessieren?“ Das erfahren wir – und sind verblüfft: Die Maßnahme soll zu unserer eigenen Sicherheit sein. Wenn uns etwas passieren würde, würde man uns auffinden. Wir passen uns im Tonfall an. Streng können wir auch: „Keineswegs wollen wir von Ihnen aufgefunden werden. Verunsichert sind wir nicht, wenn wir Freunde besuchen“. Ich bin wütend und rausche durch. Flüchtlinge hatten uns im Vorfeld gesagt: „Sie tun alles, um uns im schlechten Licht da stehen zu lassen, so als ob man uns nicht trauen kann“. Die Fotografin, hält die Tasche, in der sie die Kamera versteckt hat, fest an sich gepresst, und murmelt: „Schlimmer als im Gefängnis hier“. Bei anderen Privatbesuchen frage man schließlich auch nicht den Vermieter erst um Erlaubnis, ob man das Haus betreten dürfe, sagt sie. Während der Hausmeister ergebnislos hinter uns her ruft, dass er trotzdem gern wissen würde, wohin wir gehen, genießt ein kleines Grüppchen von Bewohnern hinter der Tür diese kurze Szene der Umkehrung der hier üblichen Machtverhältnisse sichtlich.
Wenn Besucher es geschafft haben, zu den Flüchtlingen vorzudringen, haben sie bereits Durchsetzungskämpfe hinter sich. Drinnen, typische Lager-Atmosphäre: Als wir schließlich einen Bewohner nach dem anderen besuchen, macht man sowohl uns als auch ihnen begreifbar, dass Öffentlichkeit unerwünscht ist. Manchmal verstummen Flüchtlinge mitten im Gespräch, weil sie plötzlich ungebeten weiteren Besuch erhalten. Eine Art diensteifrige Aushorcherin ist unterwegs, versteht sich gut mit Hausmeister und Sozialarbeiterin; bei ihresgleichen ist sie hingegen nicht wirklich beliebt.
Erst mal sind wir bei Miloud Lahmar Cherif und seiner Frau Olesia. Die erhalten nur Gutscheine von 126 Euro pro Person monatlich, das „Taschengeld“ von jeweils 41 Euro verweigert man ihnen. Irgendwie haben sie es trotzdem hingekriegt, uns ein leckeres Essen, Hähnchen und Salat, zu zaubern – bedauern allerdings, uns keinen Platz am Tisch anbieten zu können. Mangels anderer Unterbringungsmöglichkeiten ist der voll gestellt. Miloud und Olesia berichten über Tücken des Gutschein-Systems. Nur in drei Supermärkten in der Gegend kann man damit einkaufen. Die Fotografin und ich haben eine Idee: Wir gehen mit. Die Kamera wartet vor der Kasse, die Reporterin tut so, als wäre sie unabhängig von Olesia unterwegs. Miloud will das nicht. Er schämt sich jedes Mal, wenn er einen Gutschein an der Kasse abgeben muss, und so als Flüchtling erkennbar wird. Olesia findet hingegen, dass es eine prima Sache ist. Sie lacht und ist sofort bereit. Sie will uns vorführen, wie so ein Einkauf sich für Flüchtlinge blamabel mit nervigen Debatten gestaltet. Falls diese für einen Gutschein von fünf Euro nicht den ganzen Betrag auf einmal ausgeben wollen, sondern zum Beispiel nur drei Euro. Auf den Gutscheinen steht: Nur 10 Prozent dürfen als Rückgeld bar ausgezahlt werden. Wir machen die Probe aufs Exempel – und treffen auf eine Kassiererin mit großem Herzen. Ihrem Gesicht ist anzusehen, wie es in ihr arbeitet – dann siegt das Gute in ihr. Sie gibt zwei Euro raus. Ohne ein Wort zu sagen. Wahrscheinlich muss sie das Geld hinterher aus der eigenen Tasche drauflegen oder bekommt vom Chef die Leviten gelesen. Wir fragen nicht, sondern gehen unauffällig, damit sie nicht wegen uns etwa noch Schwierigkeiten hat.
Für unsere Einkaufsaktion mussten wir zweifach an der Pforte vorbei. Man hat uns jetzt aufgegeben – keine Schwierigkeiten mehr. Dann, Überraschung: Als Olesia im Raum, den man dort Küche nennt – Herd, Mülltonne, Spüle – und der neuerdings, nach vielen Beschwerden über Lieblosigkeit und Kargheit, türkis bemalte Wände hat, Essen zubereitet, kommt plötzlich die Sozialarbeiterin. Sie genehmigt deren vor einem halben Jahr beantragte Therapie. Olesia ist baff. So etwas sei noch nie vorgekommen. Ständig habe sie nachgefragt – nichts! Wir witzeln: Ob jetzt noch weitere Altlasten seitens der Lagerleitung schnell in letzter Minute erledigt werden, bevor sie durch unseren Besuch möglicherweise ans Licht der Öffentlichkeit dringen? Leider werden wir enttäuscht. Keine Taschengelderhöhung für niemanden!
Stattdessen kommt kurz darauf Miloud mit einem Brief. Himmel und Hölle liegen in einem Reich der Willkür, wie dem Lager Zella-Mehlis, nah beieinander. Es ist ein Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht: 58,50 Euro soll er zahlen, weil er im November eine politische Versammlung der Flüchtlingsorganisation Die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten besuchen wollte. Im nur 62 Kilometer entfernten Erfurt hat die Polizei ihn angehalten und angezeigt, weil er ohne vom Ausländeramt erteilte Verlassenserlaubnis „seinen“ Landkreis verlassen habe.
Neues Gesprächsthema: Der Thüringer Landtag hat am 17. Mai eine eher unwesentliche Veränderung beschlossen. Für Flüchtlinge im Landkreis Schmalkalden-Meiningen, in dem Zella-Mehlis liegt, soll sich die Bewegungsfreiheit geringfügig ausweiten. Künftig dürfen sich die Bewohner in angrenzenden Landkreisen Gotha, Hildburghausen, Ilmenau- und Wartburgkreis und in den kreisfreien Städten Suhl und Eisenach frei bewegen. Thüringens Innenminister Jörg Geibel (CDU) hatte das, mit sich selbst zufrieden, verkündigt. So werde „der Lebenswirklichkeit besser Rechnung getragen“. Flüchtlinge im Lager Zella-Mehlis sind hingegen davon wenig begeistert. Auch eine Woche später wussten sie von all dem noch gar nichts. Klartext: Die Regelung hat man bislang weitgehend geheim gehalten. Seitens des Landratsamtes gibt man Junge Welt schließlich kryptisch Auskunft: Die Verordnung trete am Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft. Wann dies denn sein soll, will das Amt nicht verraten. In der Behörde Schmalkalden-Meiningen ist man offenbar gewillt, den rechtlosen Zustand größtmöglicher Freiheitseinschränkung noch lange aufrecht zu erhalten. Die von Geibel zitierte Anpassung der Gesetzgebung an die Lebenswirklichkeit interessiert nicht.
Überhaupt scheint man dort entschlossen, die in Paragraph 4 des Thüringer
Pressegesetzes (TPG) garantierte Auskunftspflicht gegenüber der Presse geflissentlich zu ignorieren. Motto: Gefällt eine Frage nicht, wird sie nicht beantwortet. Der Pressesprecher benennt nicht einmal, wer in dem Amt unter Landrat Ralf Luther (CDU) dafür in der Verantwortung steht – offenbar will es niemand gewesen sein. Auch der Hinweis, dass so Gesetz gebrochen wird, ändert nichts. Der Frage von jw, ob das Amt für die über Miloud verhängte Sanktionierung die Flüchtlingswährung „Gutschein“ in Raten von einem Euro monatlich entgegennehmen wolle, weicht man aus: „Das Landratsamt wird sich bzgl. der Verletzung der räumlichen Beschränkung an die gesetzlichen Vorgaben halten, die zum Zeitpunkt der Verletzung der räumlichen Beschränkung durch den Ausländer galten.“
Vermeintlich großzügige Regelungen zugunsten der Bewohner stellen sich bei näherem Hinsehen als amtlicher Zynismus dar: Die Gemeinschaftsunterkunft soll angeblich sehr gute Kontakte zu Sportvereinen haben, gibt die Pressestelle jw zur Kenntnis. „Zahlreiche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung“ bestünden – für wenig Geld bzw. unentgeltlich, verlautbart das Amt. Nur blöd, dass keiner der Flüchtlinge, mit denen Junge Welt gesprochen hat, überhaupt darüber informiert ist – abgesehen davon, dass auch „wenig Geld“ niemand aufbringen kann. Ebenfalls weiß kein Mensch davon, dass das Amt angeblich „in jeglicher Weise befürwortet“, wenn Eltern ihre Kinder in eine Kindertagesstätten bringen wollen. Ja, sogar Kosten für Platz und Fahrt übernimmt! Als Junge Welt am Montag, 23. Mai, einen Tag im Lager verbringt, hängen Kinder in schimmligen Behausungen herum oder spielen draußen im Dreck, neben einer Müllhalde. Die Erwachsenen ertragen häufiges Kindergeschrei geduldig und trösten so gut sie können über die katastrophalen Umstände hinweg. Das ist die Realität im Lager, Industriestraße 29. Zu diesem Zynismus passt, dass das Landratsamt behauptet, die Bewohner könnten beim Internationalen Bund in Suhl einen Deutschkurs belegen. Verlassenserlaubnisse würden immer erteilt. Wie allerdings die Fahrtkosten finanziert werden sollen, bleibt das Problem der Flüchtlinge. Ergo: Deutschlernen gibt es nicht!
Bei unserem Besuch treffen wir auf den Rom Coljaj Deljadin aus dem Kosovo. Der 25-jährige Vater von drei kleinen Kindern hat kaum noch Zähne im Mund, kann so gut wie nichts mehr beißen. Folge einstigen Kriegsgeschehens? Keineswegs, sondern der medizinischen Notfallversorgung – mehr steht Flüchtlingen nicht zu! Der Zahnarzt im reichen Deutschland hat sechs obere Zähne Coljajs einfach gezogen, statt Blomben einzusetzen. Auf Nachfrage von Junge Welt im Landratsamt, wie es dazu kommen konnte und warum er nicht einmal Zahnersatz erhält, hat man eine schlichte Antwort parat: Es liege noch kein Heil- und Kostenplan vor, insofern könne man nicht sagen, in welchem Umfang (!) ein Zahnersatz übernommen werden könne. Das habe man dem Betroffenen auch bereits mitgeteilt.
Die weitere Nachfrage, wie denn ein Flüchtling überhaupt so etwas finanzieren können soll, bleibt unbeantwortet! Keine freie Arztwahl für die Bewohner? Ja. Die Thüringer Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes nimmt man hier ernster als das Thüringer Pressegesetz. Wenig zu interessieren scheint, ob möglicherweise die durch das Amt ausgewählten Ärzte die Gesundheit der Flüchtlinge ruinieren. Herr Deljadin und seine Frau Aziza haben weitere gesundheitliche Probleme, die von einem gewalttätigen Überfall in ihrer Heimat herrühren. Eines Tages im Jahr 2000 seien Männer mit Masken der UCEKA in ihr Haus eingedrungen und hätten der Frau einen brand-heißen Ofen gegen ihre Beine geschleudert, berichten sie. Ihre Wunden sind an beiden Waden sichtbar. Ihr Mann, damals hinzugekommen und zusammengeschlagen, leidet heute noch unter Kopfschmerzen.
Die 28-jährige Fatime Isufora ist aus anderen Gründen mit den Nerven runter. Sie sitzt in einem wunderbar aufgeräumten Zimmer, ihre beiden wohlerzogenen Kinder wirken deprimiert. Fatimes Mutter ist vor kurzem verstorben, nicht mal zur Beerdigung hat sie hinkönnen – sie fürchtet sich so sehr vor der Abschiebung. In Mazedonien würde man sie als Roma-Ziege auf der Straße beschimpfen. Nichts als Hunger bliebe ihr dort, das Arbeitsleben reduziert auf Flaschensammeln, sagt sie. Jetzt sitzt sie im modrig stinkenden Zimmer, hat ständig Zeit zum Grübeln. Wie alle anderen wartet sie, dass die Zeit vergeht. Arbeiten oder irgendetwas selber unternehmen, darf sie auch hierzulande nicht.
Beim Hausarzt der Flüchtlinge, direkt gegenüber dem Lager, heißt man Pressevertreter im Wartezimmer nicht willkommen. „Wir möchten doch bitte das Haus verlassen“, sagt die Sprechstundenhilfe. Eine Frau aus dem Flüchtlingslager folgt uns, will mit uns sprechen. Sie berichtet, dass ihre Familie, Romi aus Serbien, 2006 bereits schon einmal „freiwillig“ aus Deutschland ausreisen mussten. Das sei nicht zum Aushalten gewesen: Täglich rassistischer Diskriminierung ausgesetzt, mitunter auf offener Straße verprügelt, in ihrem ehemaligen Haus lebten fremde Menschen. Deshalb sei die Famlie 2010 erneut nach Deutschland gekommen. Jetzt habe man sie im Ausländeramt erneut dazu überredet, zu unterschreiben, „freiwillig“ ausreisen zu wollen. Zunächst hat die Frau ihren Namen genannt, doch dann steht Angst in ihren Augen: „Bitte streichen Sie ihn wieder“. In dieser Familie hofft man, dass ihre Akte möglichst in einem Stapel unter dem Schreibtisch im Amt verschwindet – wenn sie sich unauffällig genug verhält. Vielleicht müssen wir dann erst in drei Monaten gehen, klammert sich der Bruder der Frau an die verzweifelte Hoffnung, das Unglück für die ganze Familie wenige Wochen hinauszuzögern. Vor allem fürchte sie, nach Serbien ohne einen Cent zurückgeschickt zu werden, sagt die Frau zu Junge Welt. Ob man nicht wenigstens, wie 2006 zur Heimreise, 750 Euro pro Person gezahlt werden könnten. Im Amt weiß man offenbar besser, wie es der Familie geht, als diese selber: „Die besagte Familie wollte und ist zwischenzeitlich freiwillig zurückgekehrt. Hier möchte ich ausdrücklich betonen, dass sie zu keinem Zeitpunkt zur „freiwilligen“ Ausreise überredet oder in sonstiger Weise beeinflusst wurde. Nach unserem Kenntnisstand werden regelmäßig nur bei der 1. freiwilligen Rückkehr solche Gelder gezahlt – dies erfolgt in Thüringen durch die Internationale Organisation für Migration (IOM)“, heißt es in amtlicher Grausamkeit.
Weiter in die Behausung des 43-jährigen Gamil Asherov, vor acht Monaten aus Aserbaidschan geflohen. Dort, in der Armee, sei er als Scharfschütze ausgebildet. Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe man ihn gefragt, ob er bereit sei, als Offizier bei der Bundeswehr zu arbeiten. Ist er! Ob er denn weiß, dass er möglicherweise nach Afghanistan muss, wo derzeit auch Soldaten getötet werden, fragen wir. „Lieber sterben, als hier herumsitzen, zum Nichtstun verurteilt“. Er lässt sich mit deutscher Flagge fotografieren.
Der UN-Sozialausschuß hat Ende Mai Deutschland wegen des Umgangs mit Asylsuchenden gerügt: Sie lebten in überfüllten Unterkünften, erhielten ungenügende Sozialleistungen, hätten keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, lediglich medizinische Notfallversorgung werde gewährt – doch die Hardliner im Landratsamt Schmalkalden-Meiningen ficht das nicht an: Das Heim will man nicht schließen, einzig Familien mit langem Aufenthalt in der Gemeinschaftsunterkunft „zum Teil“ in Einzelwohnungen unterbringen. Für alle anderen hält man die schimmlige und feuchte Unterkunft, in denen Wasser durch die Decken tropft, offenbar zumutbar. Manche Wände wurden wegen der öffentlichen Kritik übertüncht; der Schimmel hat sich längst wieder durchgebissen.
Ob die Angst der Flüchtlinge vor den Verantwortlichen, die ihnen schlaflose Nächte bereiten, sie mit Abschiebung bedrohen, rechtlos und respektlos in Chaos und Langeweile versinken lassen, größer ist – oder die Wut? Sichtlich freier fühlen sich Flüchtlingsaktivisten von The Voice – sie glauben nicht mehr daran Gnadenakte der Verantwortlichen zu erreichen, weil man brav ist, sich mit kleinen Geschenken einschmeichelt oder versucht, sich quasi unsichtbar zu machen. Die Organisation plant, alles auf eine Karte zu setzen: „Alle vier Lager in Thüringen müssen geschlossen werden“, sagt deren Sprecher Osaren Igbinoba. „Gangloffsömmern macht zum 31. August dicht – für die Schließung der deprimierenden Unterkünfte in Breitenworbis, Gerstungen und Zella-Mehlis werden wir weiter kämpfen“. Igbinoba bittet, die Flüchtlinge nicht allein zu lassen, sondern ihnen mit Besuchen Solidarität zu erweisen.
Gitta Düperthal
NB
„Lagerleben - Besucher sind in Zella-Mehlis nicht willkommen“
(Nicht überarbeitete und ungekürzte Originalversion einer Reportage von Gitta Düperthal. Es handelt sich somit um die Korrektur der in der Jungen Welt vom 18.6.2011 veröffentlichten Fassung unter dem Titel „Verordnete Tristesse“ http://www.jungewelt.de/2011/06-18/004.php)
VIDEO:"My Freedom is not for sale!" Miloud L. Cherif - A Refugee activist in Zella-Mehlis, Germany
„Brecht die Isolation, schließt die Lager“, Protestkundgebung, Donnerstag, 23. Juni, in Erfurt, um 18 Uhr, Am Anger
Report on Break Isolation Rally in Erfurt 23.6.11
https://thevoiceforum.org/node/2168
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Stellungnahme und Video-Bericht von der VOICE-Konferenz in Jena und der Kundgebung in Zella-Mehlis (Refugee Conference)
VIDEO: We will Break the Isolation from the Lagers!
„Brecht die Isolation aus den Lagern heraus!“ Bundesweites Vorbereitungstreffen der FlüchtlingsCommuinty bei The VOICE
Foto Actionday in Zella-Mehlis at the entrance of refugee residence Lager on 24.04.2011
Refugee Conference in Jena and Action-day in Zella-Mehlis 22.-24.04.2011.
*FlüchtlingsLager Zella-Mehlis: Kampagne gestartet
*Aufruf: Lager Zella-Mehlis schließen – Die rassistische Isolation der Flüchtlinge durchbrechen
*Thüringen: Aktionstag im März
Netzwerk: Break Isolation - Kampagne gegen alltäglichen Rassismus und Diskriminierung
Deutsch: Thüringen: Aktionstag im März
PRESSEMITTEILUNG: Diskussionen über Flüchtlingslager mit Asylbewerbern am 28. Februar in Suhl
https://thevoiceforum.org/node/2001
Thueringia: Break the isolation and ghettoisation of refugees - Close the Lager Zella-Mehlis
DAS ZIEL - FLÜCHTLINGSLAGER BREITENWORBIS: Eine Delegation von The VOICE AktivistInnen besuchte das Isolationsslager am 04.06.11
https://thevoiceforum.org/node/2155
Flüchtlingsheim vor Schließung - Thüringen: Künftige Unterbringung der Bewohner angeblich noch nicht klar Gitta Düperthal
https://thevoiceforum.org/node/2128